Motorcity
Detroit, 1992. Der Kiefer von Clifford Worley schmerzt. Er wollte doch
nur in seinen Wohnwagen, dann war da auf einmal diese Waffe, eine Faust
und dann nur noch Dunkelheit. Jetzt sitzt er in seinem Stuhl im
Wohnwagen, umringt von einem Haufen schmieriger Italiener, Mafia
wahrscheinlich. „Möchten Sie eine Zigarette?“, fragt der arrogante
Anführer-Typ in seinem scheißfeinen Anzug allen Ernstes „Nein Danke!“.
Er stellt sich als Vincenzo Coccotti vor und faselt von gestohlenen
Drogen, Nutten, Zuhältern, einem Massaker und sein Sohn Clarence
mittendrin. Seinem einzigen Sohn Clarence, mit dem seit Ewigkeiten kein
Wort mehr gesprochen hatte bis… ja bis gestern, als er urplötzlich
auftauchte, mit einem pinken Cadillac und einer tollen Blondine im
Gepäck. Er stellte sie als seine Ehefrau Alabama Worley vor und Clifford
war auf der Stelle selbst ein wenig verliebt. Man stelle sich das bloß
mal vor. Clarence, der kleine schüchterne Clarence und jetzt mit so
einer Frau. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass das zu schön war, um
wahr zu sein. Aber Clarence war auf einmal so voller Energie, wie
ausgewechselt. Nicht erwachsen, nein, das ist das falsche Wort. Aber das
erste Mal in seinem Leben hatte er so etwas wie ein Ziel: Ein neues
Leben im sonnigen L.A.. Und er wirkte so glücklich mit seiner Alabama.
Und das machte Clifford glücklich und deswegen gab er ihm auch ohne
weiter zu fragen 400 Dollar, als Clarence ihn darum bat. Denn natürlich
liebte er seinen Sohn, auch wenn er Clifford einen nichtsnutzigen Säufer
genannt hatte und vor vier Jahren einfach verschwand - für immer wie er
damals sagte. Aber das war alles nicht mehr wichtig, das war in dem
Moment verziehen, in dem Moment, als Clarence freudestrahlend mit
Alabama im Arm auf seinen Hof fuhr. Und jetzt will dieser arrogante
italienische Anzugträger dieses Glück einfach zerstören? „Ich habe ihn
nicht gesehen“, lügt Clifford. Dafür hat Mr. Coccotti nur ein mildes
Lächeln übrig… und einen Schlag in die Fresse. Clifford verliert kurz
die Orientierung, dann zuckt ein unerträglicher Schmerz durch seinen
Körper und Blut sprudelt aus seiner Nase. Mr. Coccotti guckt ihn
eindringlich an „Tut weh, oder? Aber das, Mr. Worley, ist noch das
Beste, was ich ihnen zu bieten habe“. Die Nachbarn hätten Clarences Auto
gesehen, eröffnet ihm der Italiener. Scheiß pinker Cadillac, denkt sich
Clifford – fällt auf wie ein bunter Hund. „Wo wollten sie hin?“, bohrt
Mr. Coccotti nach. „Ganz ehrlich, Mr. Coccotti. Ich weiß es nicht.
Clarence kam gestern hier vorbei, bat mich um etwas Geld. Ich war nicht
immer ein guter Vater, aber ich versuche mein Bestes. Also habe ich ihm
400 Dollar gegeben und am nächsten Tag war er wieder verschwunden.“. In
jeder Lüge sollten 80 Prozent Wahrheit stecken – das hatte Clifford mal
in einem Film gelernt. Wieder dieses milde Lächeln. Plötzlich verdreht
einer von Coccottis Schergen Clifford den Arm hinter seinem Rücken. Dann
spürt er, wie eine Klinge einmal ganz geschmeidig durch seine
Handfläche saust. Der Schmerz kommt eine Millisekunde später. Clifford
schreit panisch auf, versucht aber die Fassung zu wahren. Mr. Coccotti
bleibt höflich, und reicht ihm sein Stofftaschentuch. „Wissen sie, ich
bin Sizilianer und wir Sizilianer erkennen Lügner ganz instinktiv. Das
liegt wohl in unseren Genen. Und sie lügen mich an Mr. Worley. Also: WO
IST CLARENCE?“ In euren Genen liegt etwas ganz anderes, denkt sich
Clifford. Du bekommst vielleicht mich, aber meinen Sohn wirst du niemals
bekommen. Und er weiß auch schon, wie er das anstellen wird.. „Kann ich
jetzt vielleicht eine Zigarette haben?“, fragt er den Sizilianer.
Das ist übrigens nicht nur ein inhaltlicher Abriss der berühmten Sizilianer-Szene aus „True Romance“, sondern eine selbstgeschriebene Kurzgeschichte, die ich 1997 in meinen Deutsch Leistungskurs eingereicht habe. Wie sich das für einen echten Teenie gehört, fühlte ich mich zu dieser Zeit natürlich von der Welt missverstanden, vor allem aber von meinem Deutschlehrer Herrn Panke, der mich entweder unterschätzte oder mutwillig benachteiligen musste. Ich war nie ein besonders guter Schüler, aber kreatives Schreiben lag mir und selbst da speiste er mich nun mit Dreien und Vieren ab. Also dachte ich mir einen Test aus, um zu beweisen, dass es nicht an der Qualität meiner Arbeit lag, sondern schlicht an meiner Person: Ich schrieb nichts Eigenes, sondern nahm stattdessen meine Lieblingsszene aus meinem Lieblingsfilm und machte daraus eine Kurzgeschichte. Wenn Herr Panke also glaubte, ein Genie mit einer Drei abspeisen zu müssen, dann speiste er diesmal nicht mich, sondern niemanden Geringeres als Quentin Tarantino mit einer Drei ab. Das wäre dann mein unumstößlicher Beweis dafür, dass es sich bei seiner Notenvergabe um einen persönlichen Feldzug handelte. Dann war es soweit und ich freute mich natürlich schon die ganze Woche wie ein Schneekönig auf den Tag, an dem er die Noten für die Kurzgeschichte rausrückte. Johann, der Streber… ne Eins – war so klar. Mein bester Freund Hendrik, einer seiner Lieblingsschüler… auch eine Eins - welche Überraschung. Dann kam ich an die Reihe. Selbstzufrieden nahm ich das Blatt entgegen, drehte es um und… Wir befinden uns nicht mehr im Jahre 1997, sondern im Sozial-Media-Zeitalter und dort muss es nun notwendigerweise heißen: Bei 100 Likes verrate ich die Note. Nein, das ist natürlich Quatsch. Vielmehr ist dies ebenfalls eine Kurzgeschichte, deswegen wird die Pointe an dieser Stelle „stilvoll ellipsiert“…wie mir Herr Panke beigebracht hat.
Die grandiose Original-Szene könnt ihr übrigens hier anschauen. Nachdem meine Kurzgeschichte endet, schlägt Clifford Worley seinem eitlen Folterer Vincenzo Coccotti übrigens mit dessen einziger Schwachstelle: Aber seht selbst.
Hier präsentieren wir euch die Preise, die ihr gewinnen könnt und möchten uns damit auch bei all unseren Sponsoren und Medienpartnern bedanken, die sie gestiftet haben: