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Quentin Tarantino vs. mein Deutschlehrer

14.10.2014 - 12:00 Uhr
Warner Bros. Pictures
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Meine Lieblingsszene stammt aus dem Film "True Romance", der von Tony Scott nach einem Drehbuch des damals weitgehend unbekannten Quentin Tarantinos inszeniert wurde. Doch was hat das alles mit meinem Deutschlehrer zu tun?

Motorcity Detroit, 1992. Der Kiefer von Clifford Worley schmerzt. Er wollte doch nur in seinen Wohnwagen, dann war da auf einmal diese Waffe, eine Faust und dann nur noch Dunkelheit. Jetzt sitzt er in seinem Stuhl im Wohnwagen, umringt von einem Haufen schmieriger Italiener, Mafia wahrscheinlich. „Möchten Sie eine Zigarette?“, fragt der arrogante Anführer-Typ in seinem scheißfeinen Anzug allen Ernstes „Nein Danke!“. Er stellt sich als Vincenzo Coccotti vor und faselt von gestohlenen Drogen, Nutten, Zuhältern, einem Massaker und sein Sohn Clarence mittendrin. Seinem einzigen Sohn Clarence, mit dem seit Ewigkeiten kein Wort mehr gesprochen hatte bis… ja bis gestern, als er urplötzlich auftauchte, mit einem pinken Cadillac und einer tollen Blondine im Gepäck. Er stellte sie als seine Ehefrau Alabama Worley vor und Clifford war auf der Stelle selbst ein wenig verliebt. Man stelle sich das bloß mal vor. Clarence, der kleine schüchterne Clarence und jetzt mit so einer Frau. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass das zu schön war, um wahr zu sein. Aber Clarence war auf einmal so voller Energie, wie ausgewechselt. Nicht erwachsen, nein, das ist das falsche Wort. Aber das erste Mal in seinem Leben hatte er so etwas wie ein Ziel: Ein neues Leben im sonnigen L.A.. Und er wirkte so glücklich mit seiner Alabama. Und das machte Clifford glücklich und deswegen gab er ihm auch ohne weiter zu fragen 400 Dollar, als Clarence ihn darum bat. Denn natürlich liebte er seinen Sohn, auch wenn er Clifford einen nichtsnutzigen Säufer genannt hatte und vor vier Jahren einfach verschwand - für immer wie er damals sagte. Aber das war alles nicht mehr wichtig, das war in dem Moment verziehen, in dem Moment, als Clarence freudestrahlend mit Alabama im Arm auf seinen Hof fuhr. Und jetzt will dieser arrogante italienische Anzugträger dieses Glück einfach zerstören? „Ich habe ihn nicht gesehen“, lügt Clifford. Dafür hat Mr. Coccotti nur ein mildes Lächeln übrig… und einen Schlag in die Fresse. Clifford verliert kurz die Orientierung, dann zuckt ein unerträglicher Schmerz durch seinen Körper und Blut sprudelt aus seiner Nase. Mr. Coccotti guckt ihn eindringlich an „Tut weh, oder? Aber das, Mr. Worley, ist noch das Beste, was ich ihnen zu bieten habe“. Die Nachbarn hätten Clarences Auto gesehen, eröffnet ihm der Italiener. Scheiß pinker Cadillac, denkt sich Clifford – fällt auf wie ein bunter Hund. „Wo wollten sie hin?“, bohrt Mr. Coccotti nach. „Ganz ehrlich, Mr. Coccotti. Ich weiß es nicht. Clarence kam gestern hier vorbei, bat mich um etwas Geld. Ich war nicht immer ein guter Vater, aber ich versuche mein Bestes. Also habe ich ihm 400 Dollar gegeben und am nächsten Tag war er wieder verschwunden.“. In jeder Lüge sollten 80 Prozent Wahrheit stecken – das hatte Clifford mal in einem Film gelernt. Wieder dieses milde Lächeln. Plötzlich verdreht einer von Coccottis Schergen Clifford den Arm hinter seinem Rücken. Dann spürt er, wie eine Klinge einmal ganz geschmeidig durch seine Handfläche saust. Der Schmerz kommt eine Millisekunde später. Clifford schreit panisch auf, versucht aber die Fassung zu wahren. Mr. Coccotti bleibt höflich, und reicht ihm sein Stofftaschentuch. „Wissen sie, ich bin Sizilianer und wir Sizilianer erkennen Lügner ganz instinktiv. Das liegt wohl in unseren Genen. Und sie lügen mich an Mr. Worley. Also: WO IST CLARENCE?“ In euren Genen liegt etwas ganz anderes, denkt sich Clifford. Du bekommst vielleicht mich, aber meinen Sohn wirst du niemals bekommen. Und er weiß auch schon, wie er das anstellen wird.. „Kann ich jetzt vielleicht eine Zigarette haben?“, fragt er den Sizilianer.

Das ist übrigens nicht nur ein inhaltlicher Abriss der berühmten Sizilianer-Szene aus „True Romance“, sondern eine selbstgeschriebene Kurzgeschichte, die ich 1997 in meinen Deutsch Leistungskurs eingereicht habe. Wie sich das für einen echten Teenie gehört, fühlte ich mich zu dieser Zeit natürlich von der Welt missverstanden, vor allem aber von meinem Deutschlehrer Herrn Panke, der mich entweder unterschätzte oder mutwillig benachteiligen musste. Ich war nie ein besonders guter Schüler, aber kreatives Schreiben lag mir und selbst da speiste er mich nun mit Dreien und Vieren ab. Also dachte ich mir einen Test aus, um zu beweisen, dass es nicht an der Qualität meiner Arbeit lag, sondern schlicht an meiner Person: Ich schrieb nichts Eigenes, sondern nahm stattdessen meine Lieblingsszene aus meinem Lieblingsfilm und machte daraus eine Kurzgeschichte. Wenn Herr Panke also glaubte, ein Genie mit einer Drei abspeisen zu müssen, dann speiste er diesmal nicht mich, sondern niemanden Geringeres als Quentin Tarantino mit einer Drei ab. Das wäre dann mein unumstößlicher Beweis dafür, dass es sich bei seiner Notenvergabe um einen persönlichen Feldzug handelte. Dann war es soweit und ich freute mich natürlich schon die ganze Woche wie ein Schneekönig auf den Tag, an dem er die Noten für die Kurzgeschichte rausrückte. Johann, der Streber… ne Eins – war so klar. Mein bester Freund Hendrik, einer seiner Lieblingsschüler… auch eine Eins - welche Überraschung. Dann kam ich an die Reihe. Selbstzufrieden nahm ich das Blatt entgegen, drehte es um und… Wir befinden uns nicht mehr im Jahre 1997, sondern im Sozial-Media-Zeitalter und dort muss es nun notwendigerweise heißen: Bei 100 Likes verrate ich die Note. Nein, das ist natürlich Quatsch. Vielmehr ist dies ebenfalls eine Kurzgeschichte, deswegen wird die Pointe an dieser Stelle „stilvoll ellipsiert“…wie mir Herr Panke beigebracht hat.

Die grandiose Original-Szene könnt ihr übrigens hier anschauen. Nachdem meine Kurzgeschichte endet, schlägt Clifford Worley seinem eitlen Folterer Vincenzo Coccotti übrigens mit dessen einziger Schwachstelle: Aber seht selbst.


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