„Ich kann tote Menschen sehen!“, wispert sie in den hohlen Raum. Das Licht des Fernsehers flackert in ihren Augen; trifft sich mit dem kalten Licht der Neonröhren an der Decke.
„Sie wissen nicht, dass sie tot sind.“ Sie hockt auf dem Boden, wippt rhythmisch vor und zurück. „Sie sind überall!“
Die Schatten tanzen um ihre Mundwinkel. Dunkle Ringe unter ihren Augen erzählen ihre eigene Geschichte. Von zu kurzen Nächten und langen Tagen. Ihr Blick flackert zurück in die Ecke. DIE Ecke. Außer dem Stapel Bücher, den DVDs und dem Fernseher steht nur noch ein Tisch mit vier Stühlen im Raum.
Ruckartig steht sie auf. Schaltet den Bildschirm aus und seufzt. Dann dreht sie sich zu den Personen am Tisch.
„Sie wollten mich sprechen?“
Der Mann im weißen Kittel lächelt und deutet auf den freien Stuhl. „Setzen Sie sich.“ Vorsichtig lässt sie sich auf den Stuhl sinken. Mit kerzengeradem Rücken sitzt sie da und faltet ihre Hände im Schoß zusammen. Sie erwidert das Lächeln, aber es ist zu breit und erreicht nicht ihre Augen.
„Sandra, ich hatte Ihnen von dem Besuch erzählt, nicht wahr?“ Sie nickt nur. Ihre Augen flackern von einem zum anderen. Beobachten und analysieren.
„And who are you...“, flüstert sie kaum hörbar.
„Die beiden kommen von moviepilot“, hilft der Arzt vorsichtig nach. „Sie wollten deine Geschichte hören.“
„Ich weiß.“ Ihre Schultern sinken kaum merklich herab. Sie atmet tief ein, schließt die Augen und beginnt:
„Ich hatte von dieser Serie gehört. Game of Thrones. Sie schien ein Hit zu sein. Alle hatten sie gesehen
...the proud lord said...
also dachte ich mir; ich versuche es auch mal.
Nach der ersten Folge war es um mich geschehen. Niemand ist sicher, hatten sie gesagt. Und es stimmte.
Ich sah eine Folge nach der anderen. Sah das Machtspiel und die Intrigen, sah zu wie Menschen starben und versuchte keinen Charakter zu meinem Liebling aufsteigen zu lassen. Selbst wenn ich Sympathien entwickelte, ich wagte nicht, es laut auszusprechen. Wenn man einmal vom Teufel spricht... Sie wissen schon.
...that I must bow so low...
Charakteren, die ich nicht ausstehen konnte, wünschte ich den Tod und schauderte gleichzeitig bei dem Gedanken was aus mir geworden war.“ Ihr Blick wandert in die Ferne. „'Viele die leben, verdienen den Tod und viele die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es Ihnen geben? Dann sei nicht so rasch mit einem Todesurteil.' Aber entschuldigen Sie, das ist eine andere Geschichte.
...only a cat with a different coat...
Ohne einen richtigen Liebling waren alle Tode unschön, aber ich konnte damit umgehen. Bis...“, ihre Stimme bricht ab. Sie holt erneut tief Luft und schlingt die Arme um ihren Körper.
„Bis zu dieser Szene. Ich hatte die ersten beiden Staffeln überstanden. Ich war so kurz vor dem Ende der dritten. Ich dachte alles wäre gut. Ich war nicht vorbereitet. Die Anzeichen waren da, für alle, die sie lesen konnten, aber ich hatte sie nicht gesehen. Hatte sie nicht sehen wollen.“ Die Worte sprudeln jetzt wie ein Wasserfall. Die beiden moviepiloten kleben an ihren Lippen, wagen selbst kaum zu atmen, um ja kein Wort zu verpassen. „Sie war schwanger! Die beiden hatten sich gerade auf den Namen des Kindes geeinigt. Es sah aus wie ein glückliches Ende.
Aber dann fing die Musik an. Die Türen wurden geschlossen. Das Massaker begann.“
Sie stockt und presst die Lippen zusammen. „Als es vorbei war, war es das erste Mal in der Serie, das die Credits ohne Musikuntermalung liefen. Ich war allein mit meinem Schock. Die dröhnende Stille lähmte jeden meiner Muskeln, bis der letzte Name vom Bildschirm verschwunden war. Ich bin nah am Wasser gebaut. Aber dieses Mal war ich fassungslos und so geschockt, dass ich nicht weinen konnte.
Ich brauchte jemandem zum Reden und überzeugte meine Schwester die Serie zu schauen. Aber nachdem auch sie endlich die Folge gesehen hatte, redete sie zwei Tage lang nicht mit mir. Sie war sauer, dass ich wusste was kommt und sie nicht gewarnt hatte.
...that's all the truth I know...“
Eine Stille füllt den Raum. Ihr Lächeln ist verschwunden. Ihre Augen starren leer auf den Tisch. Sie kann nicht schon wieder in die mitleidige Miene des Arztes schauen.
Der Besucher zu ihrer rechten flüstert: „Das ist... nun ja...“ Er räuspert sich, sucht seine Stimme: „ ...traumatisch. Wie kann so ein Trauma zu einer Lieblingsszene werden?“
Zögerlich hebt sie den Blick.
„...and so he spoke, and so he spoke...
Ich gebe zu: Ich habe beim Ende von Sixth Sense geweint, als Dumbledore gestorben ist, und bei jeder Regeneration des Doctors. Ich weine bei den kitschigsten Liebesschnulzen.
…that lord of Castamere...
Aber noch nie hat mich eine Szene so kalt erwischt und in einen derartigen Schock versetzt wie diese.
...and now the rains weep o'er his hall...
Seitdem habe ich die Bücher gelesen und Internetforen nach Theorien durchforstet. Ich weiß... Dinge. In der vierten Staffel sterben auch viele Menschen. Aber in den ersten Folgen wissen sie nicht, dass sie tot sind. Das weiß nur ich. Und die Toten sind überall!
...with no one there to hear.“
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