Es ist nicht nur ein gutes Jahr fürs Kino, es ist bisher auch ein verdammt gutes Jahr für die 7 Fragen gewesen, findet ihr nicht? Und es geht noch weiter, so wie heute mit den Antworten von Dergestalt. Ich könnte euch jetzt darauf einstimmen, dass mindestens ein großer Held des aktuellen Filmschaffens entzaubert wird, es noch nie so viele Geheimtipps gegeben hat, oder hier ein wahrhaft weiser König unseren Thron besteigt - aber all das wäre nur Zierrat, der nur von den Antworten ablenken würde. Nur soviel: Schreibt: "Ich will!" - und macht mit beim Fragebogen!
Was ist deine erste Erinnerung an Film, Kino oder Fernsehen? Womit fing alles an?
Der König der Löwen in einem kleinen Dorfkino, zusammen mit
meiner Mutter. Wie später nur der erste Herr der Ringe, ist dieser Film
tief in mein Kinderherz eingebrochen, hat es verletzt und wieder heile
gemacht. Es war so viel in diesen unendlichen 90 Minuten: Eine
unglaublich epische Vorstellung der Savanne, Glück und Kraft, dann aber
die Zerstörung der Familie durch den eigenen Onkel, existenzielle
Einsamkeit vor dem toten Vater, seelische Verbindungen in den
Sternenhimmel, die Wiederkehr des Alten in neuer Gestalt. Ein Mammut von
Film. In einem famosen 3D-Rewatch vor drei Jahren habe ich beinahe
genauso gebebt. Definitiv ein überdauernder Lieblingsfilm.
Neben gefühlten tausenden Fernsehserien, die ich als
mittelständisch-verwöhntes Kind ständig konsumiert habe, bleibt mir die
Erinnerung an die Krankheitstage. Immer wenn ich nicht in die Schule
ging, weil irgendetwas in meinem Körper nicht konnte, musste ich zum
Fernseher. Dieses Gefühl zu einer unmöglich frühen Zeit am Morgen Filme
zu gucken war berauschend toll. Entsprechend mussten es auch epische und
berauschende Saurierfilme sein. Jurassic Park und In einem Land vor unserer Zeit habe ich einige Male gesehen, entgegen jedem Kopfschmerz,
den ich vor meiner Mutter natürlich stets geleugnet habe. Ansonsten
wären mir diese frühen, fiebrig-schönen Erlebnisse natürlich verwehrt
worden.
You are all weirdos! Der Erfolg welches Schauspielers oder
Regisseurs ist Dir unerklärlich? Welches Talent wurde hingegen von der
Welt sträflich vernachlässigt?
„Unerklärlich“ ist vielleicht zu weit gegriffen, weil ich
relativ gutmütig bin und selbst im elendigsten Filmbrei noch Talent oder
gute Ansätze erkennen kann. Wenn es allerdings um dogmatisch diktierte,
„unbestreitbare“ Hypes geht, kann ich durchaus böse werden. Unter den
etlichen Großleinwandproduktionen, die enorm viel Geld und Coolness
einspielen, selten allerdings Eigenständigkeit und Mut besitzen, hat
mich vor allem Hancock unglaublich verärgert. Damals waren alle ganz
wild auf diesen coolen Typen, dem Understatement unter den Superhelden,
also bin ich aus Gruppenzwang mal reingegangen. Leider stimmte damals,
als ich sogar Keinohrhasen noch prima fand, gar nichts an diesem Film.
Weder der unglaublich gewollte Witz, noch die weitaus schrecklichere
over-the-top Dramakomponente gegen Ende, in der Zusammenhalt und
Loyalität durch kräftige Superheldenposen eingefordert wurden. Ich hätte
den Kinosaal zerlegen können, so abartig mies fand ich den Film, der
mich in seinen kumpelhaften Annäherungen nur weiter provoziert hatte:
„Komm lach doch, Kollege!“
Für definitiv überwertet halte ich auch Christopher Nolan, den ich
als Unterhaltungsfilmer für solide bis ordentlich, als gehypten
mindfuck-intellectuallyoverwhelming-Filmemacher allerdings für
haarsträubend halte. Der Mann kann funktionierende Actionthriller
inszenieren, aber immer dann, wenn er sich explizit tieferen
Fragestellungen zu Identität und Wirklichkeit zuwendet, wird sein
technisch-logisches Modell des Mindfucks sowas von unzureichend. Ihn
genau für diese Mindfucks zu loben und hervorzuheben, halte ich
zumindest für streitbar. Oder um es genauer zu sagen, zitiere ich mal
frei aus einer leider verschollenen Quelle im Netz: "Wer zur Darstellung
der Reise ins Unbewusste einen Aufzug verwendet, hat irgendetwas nicht
verstanden." Bei Nolan bleibt der Mut irgendwo in einer gesunden Mitte
stecken, ohne große Erwartungen geht er aber klar.
Von Vernachlässigung kann man auf moviepilot eigentlich selten
sprechen, da jeder talentierte Undergrounddog hier sein gerechtes Lob
erfährt (Shûji Terayama, Giorgos Lanthimos, Shane Carruth), die Filmwelt
selbst bietet allerdings viele Ungerechtigkeiten. Alle drei Regisseure
beispielweise sind in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu unbekannt.
Wenn es um Kunstfilme geht, denkt man generell eher an David Lynch, David Cronenberg und vielleicht noch Alejandro Jodorowsky, darüber
hinaus wirds aber schnell zu artsy. Dabei sind die meisten
tollen Kunstfilme auch sehr unterhaltsam: Holy Motors, Hausu - House, Symbol - alles Filme, die sehr lebendig und keineswegs anstrengend oder
langatmig sind. Da kenne ich allseits abgefeierte Meisterstücke wie Spiel mir das Lied vom Tod, die weitaus mehr Geduld beanspruchen und
mit weniger Überraschungen aufwarten. Nur sind meine Beispiele eben
ziemlich abgedreht, aber was spricht denn dagegen, sofern sie Spaß
bereiten? Wer Überraschungen mag, dürfte die Filme zumindest
stellenweise ziemlich lecker finden. Lektion für heute: Mindfucks gibt
es ab heute nicht mehr bei Nolan, sondern bei Carax.
Für den ganz besonderen, auch hier sträflich vernachlässigten (3
Bewertungen), Geheimtipp gebe ich dem Leser abschließend noch Rapture
bzw. Arrebato von Iván Zulueta mit. Ein herrlich schräg-düsterer Spaß
mit schönen Gedanken. Und für alle, die es gerne locker, aber trotzdem
kreativ haben: Hedwig and the Angry Inch. Kaum beachtet auf moviepilot
(7 Kommentare [Anmerkung des Rüsseltiers: Zur Zeit der Niederschrift]), dafür ein Kulthit in den Staaten. Und hier ist der
Kult wirklich verdient, denn der Film ist mit enorm viel Liebe gemacht.
Welcher Film drückt jedes Mal auf deine Tränendrüse, ob du
willst oder nicht? Und welcher Film schafft es jedes Mal, alle Wolken
weg zu schieben?
Zunächst einmal ist Garden State mein bester Freund unter
den Filmen. Ein Film, der mich abholt, mitnimmt und mit einem besseren
und wärmeren Gefühl für die Welt wieder absetzt. An dieses Gefühl reicht
erst einmal kein anderer Film. Als schicker Kumpel zeigt sich dannLaurence Anyways, mit seinen überstilisierten Bildern und musikalischen
Bombast. Der bringt mich innerlich schon auf die nächste Party,
definitiv auch ein Cloudbuster. Abschließend noch La Grande Bellezza - Die große Schönheit,
der seinem Namen alle Ehre macht und eine so sonnendurchflutete
Romstimmung beschert, dass ich nur noch Urlaub und Kunst haben möchte.
Bei der Tränendrüse hat sich neben König der Löwen vor allem Pocahontas bewährt. Ohne zu spoilern bleibt zu sagen, dass der Schluss
dieses unterschätzten Disneydramas so intensiv ist, dass selbst das
bloße Hören des Soundtracks schon ausreicht, um mich zum Heulen zu
bringen. Ansonsten ist auch Der Herr der Ringe teils unendlich
traurig, sicher dürften dem Leser, gerade, was Der Herr der Ringe: Die Gefährten betrifft,
einige traurige Szenen einfallen. Bei jeder davon dürfte ich vor den
Tränen gestanden haben. Abschließend noch Léon - Der Profi. Auch hier
wieder der Schluss, der so ziemlich alles an Tränenreizen aktiviert und
zusammen mit Stings Shape Of My Heart unglaublich tief geht.
Herr Verteidiger, Sie haben das Wort: Welcher Film, welche
Serie hat, deiner Meinung nach, eine viel zu schlechte Bewertung auf
moviepilot?
Definitiv das Künsterbiopic Renoir (6.0), das zudem noch
viel zu unbekannt ist. Viele beurteilen den Film in meinen Augen nach
den falschen Maßstäben bzw. setzen an den falschen Punkten an. Wer den
Film nach Handlung, äußerem Spektakel oder großen Figurenkonflikten
abtastet, mag angesichts von dessen fast stoischer Ruhe gelangweilt
sein. Wer allerdings diese fantastische südfranzösische Atmosphäre, die
feinen Anspielungen und Symbole auf sich wirken lässt, erkennt die
Tragweite und emotionale Gewalt des Films erst, der ein wirkliches
Meisterwerk ist. Ansonsten sind die Moviepiloten gerechte Leute.
Bibbedi-bobbedi-buh: Du bist jetzt König von Hollywood! Was würdest du als erstes ändern?
Zunächst einmal muss das Mainstreaming aller Filme auf eine
bestimmte Botschaft und bestimmte unhinterfragte Werte weg. Klar, mit David Fincher oder Sean Penn gibt es auch rebellische Regisseure in
Hollywood, aber auf breiter Ebene wird viel zu wenig Reflexionsraum für
die Zuschauer geschaffen. Irgendwo steht wohl immer noch geschrieben,
dass nur Eindeutigkeit mitreißend, weil mitnehmend ist. Tatsächlich ist
sie der Grund, warum viele ursprünglich große Hits eine sehr geringe
Halbwertszeit haben. Es ist eine absolute Vorhersehbarkeit, die den
Zuschauer bloß noch mit fertigen Strukturen konfrontiert. Oder man wird
experimentell à la Nolan und versetzt einfach ein paar Bausteine im
Hollywoodpuzzle und lässt den Zuschauer etwas knobeln. Wo aber bleibt
schließlich die Herausforderung des Zuschauers als ganzen Menschen mit
allen Emotionen, aber auch kognitiven Ansprüchen? Gerade das Genre des
Horrorfilms leidet hierbei übelste Qualen. An sich sehr komplizierte
Gattungsmechanismen werden immer auf die gleichen Oberflächenreize
abgeklopft. Ähnliche Schockmomente kann mir auch meine Katze bescheren
und das ohne Budget! Von demher braucht mein Vorhaben vor allem Umdenken
und kein weiteres Geld.
Welchen großen, hochgelobten Klassiker oder Kultfilm magst
du insgeheim überhaupt nicht? Welche Lücke in deinem Filmwissen hast du
bisher geheim gehalten? Wir verraten es auch keinem...
Och, geheim halte ich meine Abneigungen nicht. Tatsächlich
habe ich gegen keinen der großen Klassiker oder Kulthits irgendwelche
großen Abneigungen. In den meisten Fällen erkenne ich trotz kleiner oder
großer Langeweile durchaus die Qualitäten (Spiel mir das Lied vom
Tod, Die Verachtung, Blade Runner). Richtig schlecht bzw. nervig
fand ich nur den Modern Classic The Tree of Life, den scheinbar cleveren,
aber tatsächlich ziemlich flachen Match Point, den pseudotiefgehenden Borgman und die müde Stildiashow Kill Bill: Volume 2.
Wenn du drei Filme für eine einsame Insel wählen müsstest
(auf der es unerklärlicherweise ein Home-Entertainment-System gibt),
welche wären es?
Definitiv Garden State für den gemütlichen Seelenfrieden, dann Holy Motors für die Gehirnwindungen und mein merkwürdiges Bedürfnis nach chaotischen und aufregenden Filmen, und schließlich La Grande Bellezza, weil der so wunderschön ist, dass ich ihn einfach ab und an brauche. Wobei ich dann Sehnsucht nach Italien bekomme und mich wiederum nur durch Garden State vor einem qualvollen Seelentod bewahrt werden kann.