Die Pornotopie hinter der grünen Tür

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Behind the Green Door
Mitchell Brothers Film Group
Aktion Lieblingsfilm: Behind the Green Door
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Die moviepilot-User haben aus allen Bereichen Lieblingsfilme, unsere Aktion zeigt dies deutlich. So gibt es auch Texte, die sich intensiv mit Werken beschäftigen, die Sexualität thematisieren – wie Behind the Green Door.

„112 girls, 522 penetrations, Chinese guys with huge cocks, chicks with dicks… hey, that’s a fuckin’ video!”, kommentiert Mickey Rourke in Spun den Fund eines Pornos nach seinem Geschmack und macht sich damit genüsslich grinsend auf gen Kasse.
Pornos können aber viel mehr sein als eine vierstündige Penetrationszählaufgabe, sie können viel mehr sein als eine lieblos zusammengeschnittene Aneinanderreihung von Sexszenen, die sich krampfhaft zu überbieten suchen: Sie können intelligente Geschichten erzählen, sympathische Charaktere präsentieren, sich mit ihrem eigenen Genre auseinandersetzen, philosophische Fragen berühren und einen mit ihrer ungebändigten Kreativität faszinieren. Kurz: Sie können Lieblingsfilme sein.

Ich habe für die „Aktion Lieblingsfilm“ zwei Werke ausgesucht, die sich thematisch ergänzen, weil sie zum Genre der Pornographie gehören und die, wenn sie in ihrer Produktionsreihenfolge besprochen werden, einen interessanten Einblick in die Problematik des pornographischen Kinos und seine Entwicklung geben. Bei den zu behandelnden Filmen handelt es sich um Behind the Green Door aus dem Jahr 1972, der für die Blütezeit und kreative Energie des damals vor kurzem im Mainstream populär gewordenen Genres steht, und um Café Flesh, der eine Dekade nach Behind the Green Door erschien und als weit weniger optimistische Abrechnung mit dem Pornofilm funktioniert. Beiden Filmen zentral ist dabei das Motiv der Distanz, welche in Behind the Green Door überbrückt, in Café Flesh aber verstärkt werden soll.

Licht aus, Vorhang auf, den Anfang macht nun Behind the Green Door: 1972, während des aufkommenden Pornobooms in den USA, schufen die Gebrüder Mitchell mit diesem Film einen Meilenstein, der noch heute als Klassiker gilt und Hauptdarstellerin Marilyn Chambers, die zuvor für das Waschmittel „Ivory Snow“ Werbung gemacht hatte, schlagartig berühmt (oder berüchtigt) machte.

Zwei Truckfahrer unterhalten sich nachts in einem Diner mit dem Angestellten hinter dem Tresen und erzählen ihm von ihren Erlebnissen hinter der grünen Tür, womit ein Raum gemeint ist, an dem sich maskierte Zuschauer zusammenfinden, um Leuten auf einer Bühne zuzusehen, die Sex haben. An jenem Abend ist die Attraktion der Vorstellung die von Chambers gespielte Gloria. Nach und nach werden die Zuschauer ungezwungener und lassen sich sexuell gehen, und am Schluss, nach der Vorstellung, nimmt Barry (George S. McDonald), einer der beiden Fahrer, Gloria mit sich, und zwischen ihnen entwickelt sich eine flüchtige Liebesbeziehung, die an diese magische Nacht gebunden ist.

Behind the Green Door ist Film gewordene Pornoutopie, versinnbildlicht mit dem imaginären, nur auf Zelluloid vorhandenen Topos hinter der ominösen grünen Tür: Hier ist alles möglich, und hier wird auch alles möglich. Die Gesetze des Pornokinos, denen sich Behind the Green Door durchaus bewusst ist, gelten in diesem Raum nicht mehr, werden aufgehoben. Im Kern dieses Films geht es um die Problematik der Distanz, welche, in doppeltem Sinne, (jedenfalls zeitweise) überwunden wird.

Pornographie als Zurschaustellung des sexuellen Aktes in expliziten Bildern zwecks Erregung der Zuschauer bleibt für dieselben ja zu allen Zeiten eine unnahbare Erfahrung: Pornofilme erben in ihren Darstellungen die Passivität ihres Mediums, das ein Zuschauen vorschreibt, nie aber ein Mitmachen erlaubt. Film ist nicht interaktiv, was gerade bei diesem Genre zu einer fühlbaren Distanz zwischen den Akteuren auf der Leinwand und den Zuschauern im Kino führt. Diese Distanz ist der Grund für den bisweilen masochistischen Charakter des Pornosehens: es ist sexuelle Erregung ohne Erfüllung, unerreichbare Phantasie auf toter Leinwand. Um ebendieses inhärente Problem der Distanz und seine erstrebenswerte Verkleinerung (ohne jemals eine wirkliche Aufhebung bewirken zu können) geht es in Behind the Green Door, wobei der Film zwei Strategien anwendet, um den Sex den Zuschauern so erlebbar wie möglich zu präsentieren.

Einerseits geschieht dies direkt: Der Film nimmt sich die nötige Zeit, eine Atmosphäre aufzubauen, die stetig einnehmender und dichter wird; er steigert das Treiben hinter der grünen Tür konsequent, der Spannungsaufbau ist hervorragend, er entwickelt einen Sog, aus dem man sich nicht lösen kann. Bemerkenswert ist hier desweiteren der Einsatz der Musik. Wie Christian Kessler in seinem Buch „Die läufige Leinwand – Der amerikanische Hardcorefilm von 1970 bis 1985“ zu Recht bemerkt: „Der weitgehende Verzicht auf Musik […] (unüblich im Genre) besiegt die Distanz: man wird förmlich in die Szene hineingesogen.“

Andererseits geschieht dies indirekt über die Zuschauer im Film, die, wie die echten Zuschauer, zu Anfang noch passiv das sich ihnen bietende Schauspiel auf der Bühne beobachten, später aber ebenso mitmachen. So werden die ausserdiegetischen, echten Zuschauer stellvertretend durch ihre diegetische Repräsentation in Form des filmischen Publikums aktiv. Und wenn Barry und Gloria gegen Ende zusammen den Raum hinter der grünen Tür verlassen und damit ein Stückchen der Unmöglichkeit und des Phantastischen dieses Ortes in ihre Außenwelt tragen, wird die Grenze zwischen Akteur und Betrachter endgültig verwischt.

Aber dieser Zustand kann nicht andauern, weder für Barry, noch für uns. Wenn er am Schluss alleine durch die Nacht fährt, während wunderschöne Gitarren- und Violinenklänge die Szenerie in süße Melancholie hüllen, so ist das eben auch unsere Melancholie, die wir von dieser Pornoutopie bald Abschied nehmen und das, was wir gesehen haben, doch nur als filmische Phantasie erkennen müssen.

Es gibt noch eine zweite Distanz, eine filmisch-zeithistorische Distanz, die Behind the Green Door zu schließen sucht. Eine Brücke wurde Anfang der Siebziger zwischen dem Pornofilm und dem Mainstream, wie erwähnt, schon geschlagen (die sehenswerte Dokumentation Inside Deep Throat legt, unter anderem, davon Zeugnis ab), und nun wurde der Versuch unternommen, Pornographie vollends dort zu verankern. Behind the Green Door steht hier als optimistischer Meilenstein und Wegbereiter in einer Zeit, die in eine fruchtbare, kreative Zukunft blicken ließ, in deren Verlauf eines Jahrzehnts ambitionierte Filmemacher Experimentalpornos (Bacchanale), Horrorpornos (das Meisterwerk Through the Looking Glass) oder Krimipornos (Amanda by Night) erschaffen sollten. Auch das erfolgreiche Softcoredrama Emmanuelle sowie der famose Hardcorehistorienfilm mit Highclassbesetzung Caligula können als Produkt der überschwappenden Erotikwelle gedeutet werden. So wurde die Distanz zu anderen Genres überwunden und Filme mit Erotik und Anspruch geschaffen, die die von Behind the Green Door vorgezeichnete Pornotopia weiterhin mit Leben erfüllten und den Ort hinter der grünen Tür, jedenfalls für eine kurze Zeitperiode, mit sich zogen.


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