Die Zeit der Nostalgiker hat begonnen. Das Revival scheint der neue Serien-Hype zu sein. So trudeln Renaissance-Produkte in die Kanäle und lösen Fanjubelstürme und Spekulationen aus. Nach der Wiederbelebung der Neunziger-Jahre-Sitcom-Show Full House folgt auf Fuller House die Neubeatmung der Gilmore Girls: Zwei Frauen beziehungsweise zwei Mädchen, die sich in den 2000ern mit schneller, wahnwitziger Wortwahl die Herzen des familiären Nachmittagsfernsehpublikums erquatscht haben. Die bisherigen Gilmore Girls sind ein Paradestück der verbalen Schlagfertigkeit, eine Ode an den Filterkaffee und eine Ausstellung bizarr-verrückter amerikanischer Kleinstädter.
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Vorsicht Spoilergefahr wegen des Schwelgens in Erinnerungen!
Obwohl die Gilmore Girls immer noch in Dauerschleife im deutschen Fernsehprogramm laufen (derzeit sonntags im Disney Channel), verbinde ich mit dem Doppel die Zeit, als nach der Schule die Powertaste der Bildschirmröhre gedrückt und abgehangen wurde. Eine Zeit, in der ich mich permanent in postpubertärem Gezänk mit meiner Mutter hätte verstricken sollen. Eine Zeit mit einer Serie, die mich tatsächlich gelehrt hat, dass Mutter und Tochter keine Feinde sein, sondern viel besser Freundinnen fürs Leben werden sollten. Was sich heute normal anfühlt - Freundschaft mit den Eltern pflegen - fand mit den Gilmore Girls im Nachmittagsprogramm seine fiktionale Fortführung der Sitcom Die Nanny. Während die schon immer auf der Seite ihrer Schützlinge stand, aber trotzdem verzweifelt zu den Erwachsenen gehören wollte, verschwimmt diese Grenze bei den Gilmore Girls endgültig. Das Miteinander der Erziehungsberechtigten und der zu Erziehenden geht in einer endlosen Wortkette von Popkulturreferenzen auf. Abwechselnd ist in den sieben Staffeln eine der beiden die Erwachsene und abwechselnd holen sie sich in die Realität zurück. Es ist die perfekte Mischung aus Tiefsinn und Sinnlosigkeit.
Dass die Serie, nicht nur bei mir als Wunderheilung der besonders während der Pubertät von Gedeih und Verderben beseelten Mutter-Tochter-Beziehung gilt, lässt sich einfach erklären. Mutter und Tochter begegnen sich auf Augenhöhe. Niemand steht per se auf der Seite des Kindes oder des Erwachsenen. Die Serie schafft eine Perspektive mitten zwischen beidseitig nachvollziehbaren Argumenten und Gefühlen. Dass beide gleichermaßen klug, witzig und schlagfertig sind, ist bei der Identitätsstiftung natürlich nicht nachteilig. Rory (Alexis Bledel) und Lorelai Gilmore (Lauren Graham) sind das perfekte Paar.
Was Frau alles sein kann
Ein weiterer Gegensatz zu damaligen VOX-Familienserien wie Eine himmlische Familie oder Für alle Fälle Amy war, dass in Gilmore Girls die privaten, kleinen Probleme über die großen, gesellschaftlichen Hürden gestellt wurden, ohne sie außer Acht zu lassen. Lorelai ist alleinerziehend, als Teenie schwanger geworden, im Hotelwesen ambitioniert und im ständigen Kampf mit ihren schwerreichen Eltern alter Schule. Rory ist eine Streberin, anfänglich altbackener als die eigene Mutter und auf der Suche nach der Belastungsgrenze im Sinne der beruflichen Selbstverwirklichung. Dabei verhandelt die Serie unaufgeregt viele Ansprüche, die der Kabarettist Florian Schroeder in seinem Statement der Erwartungen an Frauen in der NDR Talk Show Anfang des Jahres so treffend zusammenfasste .
Was muss die Frau alles sein. Sie muss Topmodel, mager, schlank sein. Aber sie muss auch Kinder wollen. Die muss sie im richtigen Moment wollen. Also nicht mit 20, aber auch nicht mit 40. 20 ist zu früh. 40 ist zu spät. Sie muss die richtige Zahl der richtigen Kinder mit dem perfekten Mann im richtigen Moment kriegen. Die richtige Zahl ist nicht 1, das ist Ego, aber auch nicht 5, das ist assi. Es muss irgendwo dazwischen liegen. Wenn sie die Kinder hat, muss sie arbeiten. Sie muss Karriere machen. Und zwar selbstbewusst, aber nicht als Emanze, aber emanzipiert muss sie sein. Selbstbewusst, emanzipiert, feministisch, organisiert und überhaupt gut drauf. Und während sie Karriere macht, muss sie Zuhause bleiben, sie darf keine Rabenmutter sein. Wenn Sie Zuhause ist, muss sie trotzdem Karriere machen. Sie muss weiterhin Topmodel, mager, schlank sein. Man darf ihr die Kinder, die sie gekriegt hat, nicht ansehen. Zuhause muss sie außerdem Hure, Liebhaberin, beste Freundin, Mutter und alles auf einmal sein. Und den Stress, den sie hat, den darf man niemals spüren.
Lorelai ist mit Babybauch und sechzehn Jahren aus dem wohl behüteten Elternhaus abgehauen. Fortan zog sie ohne Mann und blutsverwandten Beistand ihre Tochter alleine groß. Weitere sechzehn Jahre später setzt die Serie ein und zeigt, dass sie es geschafft hat. Doch als das Geld aus dem eigenen Portemonnaie für die ersehnte Bildung an einer Eliteschule für Rory nicht reicht, muss sie ihre Eltern um eine Leihgabe bitten. Nun steht sie in der wöchentlichen Schuld eines familiären Freitagsabenddinners. Wehe dem, der sich vor der Familie sicher wähnt. Die Anlage der Geschichte könnte belehrend, deprimierend und ernst sein.
Doch die Serie bespielt Lorelai mit allen Problemen einer Alleinerziehenden, ohne sie dabei auszuspielen. Ein gestresstes Miteinander von Kind und Karriere gibt es natürlich, aber es findet im Nebenher statt. Es gab Verzicht. Es gab andere Möglichkeiten. Es fehlt der Neid der Mutter auf die eigene Tochter. Sicherlich wäre das anders, wäre Rory fies geraten. Aber nichts da. Sie ist der perfekte Spannbogen zu den Großeltern und besonders zu ihrer aufgedrehten Mutter. Rory ist der Ruhepol der Geschichte und geht einem mit ihrer altklugen Art und Weise nicht grundgütig auf die Nerven, da sie dank ihrer Mutter die Zurückhaltung der eigenen stockigen Biederkeit gelernt hat. Mit Emily (Kelly Bishop), im Bunde in die zweite Reihe gerückt, ergibt sich ein unterhaltsames Wunsch-Mehrgenerationenhaus an Frauen in Fernsehformat. Die Großmutter ist getrieben von der Frage, warum ihre Tochter aus dem Haus geflohen ist und ihrer Aufgabe als stärkender Rücken des geldverdienenden Ehegattens.
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One mother, one daughter, one town to raise them both.
Neben den Generationen an Gilmore-Weibern steht mit Stars Hollow das Kleinstadtidyll im Mittelpunkt der Story. In Gilmore Girls wurde ein Dorfkosmos geschaffen, der in Erinnerung bleibt. So sehr sich Hart of Dixie auch bemüht, Stars Hollow bleibt der Verrückten wahres Nest. Twin Peaks wegen seiner ganz eigenen Genreregeln mal außer Acht gelassen. Stars Hollow bietet verwirrten Existenzen mit exzentrischem Einschlag und dabei geerdeter Herzlichkeit einen Heimathafen. Mit zahlreichen eigenen Charakteren wird der Hauptcast erweitert und komplettiert. Die Kleinstadt ist realistisches Dekor gepaart mit absurden Dorfparaden und Einwohnergewohnheiten - ein Regenbogen persönlicher Attitüden. Jede Hintergrundhandlung und jedes Event ist liebevoll inszeniert und nicht nur Mittel zum Zweck, sondern immer ein Kommentar zur Geschichte und zur Welt. Kaum zu phantasieren, dass diese spezielle Eigenheit in den gerüchteweise vier Jahreszeiten à 90 Minuten des Revivals seinen Platz finden kann. Erfahrungsgemäß sind in großen Blöcken beiläufige Nebenhandlungen rar gesät und verkommen zu spaßigen Kurzauftritten. Dabei ist das Besondere im Original, dass die Figuren nicht für die Haupthandlung antreten müssen, sondern ihren ganzen eigenen Bogen, ihr ganz eigenes Tempo für ihr ganz eigenes Ziel haben und dabei zufällig auf Rory und Lorelai treffen.
Mehr: Gilmore Girls - Die Stars der Serie damals und heute
Rory, Lorelai und Emily neun Jahre später
Nach dem auch im Revival von Gilmore Girls thematisierten Tod des Darstellers Edward Herrmann in der Rolle ihres Ehemanns Richard sollte Emily einen neuen Platz in der Gesellschaft finden. Zur Erweiterung der Perspektiven nimmt sie zukünftig hoffentlich mehr Platz ein. Zum Zeitpunkt der vierten Episode werde laut Darstellerin Kelly Bishop ein ganzes Jahr seit dem Tod von Richard vergangen sein: "Und nach diesem [ersten Jahr nach dem Verlust] lernt man, sich wieder aufzurappeln".
Nach Ausgang des ersten Seriendurchlaufs ist für Rory alles offen. Ganz seriell emanzipiert ist sie als ungebundene Journalistin mit Barack Obama auf Wahlkampftour gegangen. Mögen die Herzensspiele erneut beginnen. Laut Amy Sherman-Palladino ist Rory immer noch single und ihre Journalisten-Karriere ins Stocken geraten. Ihre drei großen Lieben haben ihre Rückkehr zur Serie schon bestätigt. Fraglich, ob Dean (Jared Padalecki) tatsächlich mehr als freundschaftliche Gefühle einbringen darf. Denn spannender ist doch, ob Logan (Matt Czuchry) seinen Heiratsantrag wiederholen wird oder Jess (Milo Ventimiglia) endlich erkannt hat, was das beste für die Unterhaltung und meine Vorliebe wäre. Bei Lorelai scheint die Prognose einfacher. Schließlich hat zumindest Luke den Sack zugemacht und Lorelai im letzten Moment des Finales erneut geküsst. Kindsvater Christopher (David Sutcliffe) hat inzwischen das Flirten sicher nicht verlernt, doch da Max Medina (Scott Cohen) wohl nicht zurückkehrt , spekuliere ich lieber: Haben Luke und Lorelai ein gemeinsames Kind? Ersten Aussagen zufolge sind sie noch verlobt. Aber es gilt: Nichts muss, alles kann.
Entscheidend ist am Ende die pointierte Weiterführung der zwei prägendsten Gaben der Gilmore Girls. Hauptsache sie essen und reden viel zu viel. Dass die Serienschöpferin Amy Sherman-Palladino bei dem Projekt die Federführung übernommen hat, lässt es stark hoffen.