Heimat, Vampire & das Drama deutscher Genrefilme

09.03.2012 - 17:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Schilf - Ein physikalischer Thriller
X-Filme
Schilf - Ein physikalischer Thriller
16
9
Seit gestern läuft der Science Fiction-Krimi Schilf in den heimischen Lichtspielhäusern. Die Bestsellerverfilmung reiht sich ein in eine junge Welle deutscher Filme, die ganz unterschiedlich mit ihrer Genre-Herkunft umgehen.

In Stil wie Inhalt könnten sie teils unterschiedlicher nicht sein. Trotzdem haben Im Schatten, Nordwand und Wir sind die Nacht eines gemein: Sie zählen zu den Genrefilmen und nehmen damit in Deutschland eine Sonderrolle ein. Seit gestern gesellen sich der Sci Fi-Krimi Schilf – Alles, was denkbar ist, existiert und der Thriller Die vierte Macht zu dieser illustren, gar nicht mal einheitlichen Runde. Über die Notwendigkeit deutscher Genrefilme habe ich vor einer ganzen Weile geschrieben. Doch was haben die deutschen Beiträge der letzten Jahre gemein? Lassen sich thematische wie stilistische Parallelen ziehen? Und vor allem: Gibt es irgendeinen Grund, sie anzuschauen?

Pop und Kultur
Bleiben wir einen Moment bei Schilf. Basierend auf einem Bestseller von Juli Zeh wird darin erzählt, wie ein Physikprofessor durch das Verschwinden seines Sohnes und seinen Traum existierender Parallelwelten in den Wahnsinn getrieben wird. Das Presseheft für Schilf strotzt nur so vor naturwissenschaftlicher Fachsimpelei und beim Film verhält es sich nur unwesentlich anders. So abtruse Haken die Story (glücklicherweise) schlägt, so bemüht zeigt sich der Film, diese logisch zu erklären. Bloß nicht simpel sein, nicht zu viel Pulp reinbringen, scheint die Devise. Schilf bildet mit seinem steten Schwanken zwischen öffentlich-rechtlichem Ernst und der Freude am Thrill sozusagen den Mittelweg aktueller Genretendenzen aus deutschen Landen. Pop und Kultur liegen hier, vermutlich auch dank der beteiligten Filmförderungs- und Sendeanstalten, derart oft im Argen, dass das Endprodukt darunter erdrückt wird. Da kommt dann prätentiöser Durchschnitt wie Die kommenden Tage heraus, der so viel will, dass er sich dabei lächerlich macht.

Das eine, höchst poppige Extrem wird durch Filmemacher wie Dennis Gansel verkörpert. In dem Vampirstreifen Wir sind die Nacht frönt er dem von vielen Kritikern als oberflächlich abgekanzelten Begriff des Spektakels, kombiniert hedonistisch pulsierende Tanzszenen mit Verfolgungsjagden, ein bisschen Drama hier, ein paar Special Effects dort. Das ist in der Optik nicht mehr von Hollywood zu unterscheiden. Vielleicht verhinderte die Diskrepanz zwischen dem Look der Traumfabrik und den sehr alltäglich wirkenden Schauplätzen und Schauspielern den Durchbruch an den Kinokassen. Verdient hätte Wir sind die Nacht die Zuschauermassen eher als die x-te Schweighöfer-Komödie, die lieber auf Nummer sicher geht.

Ganz anders funktioniert da ein Film wie Im Schatten. Thomas Arslan, der häufig zur Berliner Schule gezählt wird, arbeitet sich darin am Gangsterfilm richtiggehend ab, legt mit seinen Bezügen zu Jean-Pierre Melville und anderen eine Selbstreflexivität an den Tag, die einem Gansel wohl zu verkopft wirken würde. Obwohl Im Schatten handelsübliche Elemente sein eigen nennt (Sex, Betrug, Schießereien, sogar eine in einem Teppich eingewickelte Leiche), werden sie nicht als Spektakel, als Adrenalinpumpe in Szene gesetzt. Anstatt sich, wie Wir sind die Nacht, auf dem Rücken des Genres auszuruhen, verpflanzt der Film das Genre in die deutsche Wirklichkeit, ohne sich dem Sozialdrama zu verpflichten.

Stadt und Land
Der ewige und ewig sinnlose Dualismus von Unterhaltungs- und Arthouse-Filmen gibt nicht die einzigen Pole vor, um die deutsche Genrefilme kreisen. Denn ein herausragendes Merkmal ist der Umgang mit ihrer geradezu zwangsläufigen regionalen Verwurzelung. Wir sind die Nacht ist mehr noch als ein Vampir- ein Berlin-Film, Im Schatten navigiert ebenfalls zwischen dem schönen Schein und den brach liegenden Ecken der Stadt. Schilf dokumentiert den psychischen Balance-Verlust seiner Hauptfigur mit der warmen Thüringer Sommersonne im Hintergrund und den Film Noir Jerichow von Christian Petzold zieht es auf das platte Land des deutschen Nordostens. Zum einen ist diese regionale Verwurzelung abhängig von den Förderanstalten. So wurde die Handlung von Schilf vor allem wegen der Mitteldeutschen Medienförderung von Freiburg nach Jena verlegt.

Andererseits spielen Regionalität und der diffuse Begriff der Heimat eine besondere Rolle im deutschen Genrefilm der letzten Jahre. Das haben die dialektbewussten Werke von Marcus H. Rosenmüller (Wer früher stirbt, ist länger tot) forciert. Auf die Spitze wird diese Auseinandersetzung im modernisierten Berg- (Nordwand) und Heimatfilm (Bergblut) getrieben. Da treffen amerikanische Erzählweisen auf spezifisch deutsche Genres, werden geradezu altbacken wirkende Dynamiken wie die von Stadt und Land in neuen, dennoch Blockbuster-tauglichen Kleidern aufgetischt. Nordwand etwa wirkt zuweilen wie das Ergebnis eines Brainstormings von Luis Trenker und James Cameron. Trotz seiner Schwächen (Das Ende!) fasziniert er insbesondere in seinem ständigen Kampf, ein ideologisch belastetes Genre im 21. Jahrhundert einer Säuberungskur zu unterziehen, ohne dessen zentrale Elemente zu verwässern.

Apokalypse in Brandenburg
Deutsche Genrefilme – das ist der Kampf mit den Redakteuren der Förderanstalten, aber auch das stete Kreisen um die eigenen Herkunft. Das ist ist der Widerstreit von an Hollywood geschulten Sehgewohnheiten und der drohenden Nähe zum profanen Fernsehen, zur puren Frage nach der Akzeptanz des schlicht nicht Unnahbaren in unwirklichen Umgebungen. Geht eine Nina Hoss als Vampir durch oder nicht? Nehmen wir Hell die brandenburgische Endzeit ab oder nicht? Selbst wenn sie nicht immer gelingen, bilden deutsche Genrefilme einen reizvollen Sandkasten aktueller Befindlichkeiten und eine fabelhafte Möglichkeit, das Alltägliche mit anderen Augen zu betrachten.

5 faszinierende deutsche Genrefilme der letzten 5 Jahre:

Nordwand (2008)
Im Schatten (2010)
Das letzte Schweigen (2010)
Wir sind die Nacht (2010)
Fenster zum Sommer (2011)

1 deutscher Wunschfilm für die nächsten 10 Jahre:

Vampire im Zillertal

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News