Ich, Cocktail für eine Leiche & bizarre Büffets

07.09.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Cocktail für eine Leiche
Universal Pictures
Cocktail für eine Leiche
Alfred Hitchcock hat in seiner langen Karriere so einiges gedreht, aber das groteske Kammerspiel Cocktail für eine Leiche zählt für mich zu seinen ganz großen Klassikern. An sich ein kurzer und simpler Film, beeindruckt er durch allerhand Finessen.

Über Alfred Hitchcock lässt sich viel streiten. Seine frühere Hauptdarstellerin Tippi Hedren warf dem 1980 verstorbenen Meisterregisseur erst kürzlich erneut sexuelle Belästigung und Erpressung vor. In The Girl wird ihre Sichtweise der Dinge bald zu sehen sein. Auch die Filmfans diskutieren gerne und oft über Alfred Hitchcock. Der englische ‘Master of Suspense’ war viel zu lange im Geschäft, um einfach unter den Tisch fallen zu können, selbst über drei Jahrzehnte nach seinem Ableben. Unter seinen Werken gibt es ein paar unumstrittene Klassiker, wie Das Fenster zum Hof, Vertigo – Aus dem Reich der Toten, Der unsichtbare Dritte und Psycho aus seiner Hochphase gegen Ende der 1950er Jahre. An vielen anderen scheiden sich die Geister. Eine seiner kleineren Arbeiten ist Cocktail für eine Leiche, der erste Farbfilm des Regisseurs, dem ich heute Mein Herz für Klassiker schenke.

Die Story des Streifens ist eigentlich schnell erzählt. Brandon Shaw (John Dall) und Phillip Morgan (Farley Granger) sind Harvard-Studenten und teilen sich ein Apartment. Inspiriert durch eine Abhandlung ihres Lehrers Rupert Cadell (James Stewart) über die ‘Kunst des Mordes’ aus dem bekannten Essay von Thomas de Quincey und die moralische Überlegenheit des Übermenschen planen die beiden das perfekte Verbrechen. Sie bringen ihren Kommilitonen David Kentley (Dick Hogan) um, indem sie ihn mit einem Seil strangulieren. Danach verstecken sie die Leiche in einer schweren Truhe in ihrer Wohnung. Im Siegestaumel ihrer Überlegenheit organisieren sie noch am gleichen Abend eine Party, zu der sie neben ihrem Lehrer auch Davids sämtliche Freunde und Verwandte einladen. Erst schöpft niemand Verdacht, doch im Laufe des Abends wird Cadell ob Kentleys Abwesenheit zunehmend misstrauisch. Denn besonders Brandon verhält sich stellenweise geradezu anmaßend – bis der Lehrer ihnen am Ende auf die Schliche kommt.

Warum ich Cocktail für eine Leiche mein Herz schenkte
Ich liebe Cocktail für eine Leiche, weil der Film ein Paradebeispiel für den schwarzen Humor von Alfred Hitchcock ist. Dazu benötigt der englische Meisterregisseur in diesem Fall nicht einmal großartige optische Schmankerl, wie die Verfolgungsjagd in Der unsichtbare Dritte oder die Höhenangst-Sequenzen in Vertigo – Aus dem Reich der Toten. Spektakuläre Schauplätze sind genauso Fehlanzeige. Der komplette Cocktail für eine Leiche spielt sich nur in dem Apartment der beiden mörderischen Jungphilosophen ab. Dass die zwei Studenten nach ihrer grausamen Tat ein großes Fest schmeißen, ist einerseits vielleicht pietätlos, andererseits aber so zynisch und bitterböse, wie es wohl nur Hitchcock zu seinen besten Zeiten sein konnte. Hier trifft das in der christlichen Welt verschriene Konzept vom Leichenschmaus den Nagel auf den Kopf – wortwörtlich. Der katholische Regisseur eckte eben schon immer gerne an, was seine Religion betraf, und in diesem Film ist das gleichermaßen absurd wie komisch, im doppelten Sinne.

Warum auch andere Cocktail für eine Leiche lieben werden
Bei Cocktail für eine Leiche haben wir als Zuschauer das Gefühl, mittendrin statt nur dabei zu sein. Ein Grund für dieses Erlebnis ist das formale Experiment, das Alfred Hitchcock bei seinem Kammerspiel durchführte. Mit einem Trick versuchte der ‘Master of Suspense’ den Anschein zu erwecken, die Geschichte spiele sich in Echtzeit ab. Sein ursprünglicher Plan sah vor, den kompletten Cocktail für eine Leiche in einem einzigen Take zu drehen. Da jedoch die Filmrollen in den Kameras der damaligen Zeit nur zehn Minuten umfassen konnten, musste er dann doch Cuts machen, die er aber als ‘unsichtbare Schnitte’ so gut wie möglich kaschierte. Insgesamt hat Cocktail für eine Leiche in seinen circa 80 Minuten Spielzeit lediglich elf Einstellungen, davon fünf harte Cuts. Auf formaler Ebene macht dies das Kammerspiel dadurch für Filmfans interessant. Für den Otto Normalzuschauer jedoch erzeugt der Regisseur wirklich das Gefühl, dass sich alles in diesen knapp anderthalb Stunden abgespielt haben könnte – auch wenn Mord plus anschließende Party in Wahrheit natürlich deutlich länger dauern.

Warum Cocktail für eine Leiche einzigartig ist
Bei seiner ersten Arbeit als eigenständiger Produzent in Amerika hatte Alfred Hitchcock mehr künstlerische Freiheit. Diese Macht nutzte er gleich aus, um sich gegen die Drehbuchfassung durchzusetzen, bei der der Mord erst am Ende des Films gezeigt wird und somit ein Geheimnis für den Zuschauer bleibt. Auch wenn diese Lösung eher den Hollywood-Konventionen entsprochen hätte, macht gerade Hitchcocks Ablehnung der Variante den Film zu etwas Besonderem für mich. Der Tathergang ist von Anfang an bekannt, denn er wird uns ja direkt vor Augen geführt. Alles, was danach kommt, ist ein psychologisches Katz- und Maus-Spiel zwischen den beiden Studenten, die sich für intelligenter als den Rest der Menschheit halten, auf der einen Seite und ihrem humorvollen wie zynischen Lehrer auf der anderen Seite. Der Anhang des ermordeten David mutiert dabei zu Komparsen in einem absurden Theaterstück. Im Gegensatz zu einem normalen Krimi ergibt sich unser Sehvergnügen bei Cocktail für eine Leiche nicht daraus, dass wir den beziehungsweise die Mörder finden wollen. Denn die werden uns ja auf dem Silbertablett serviert. Wir sehen gespannt dabei zu, ob, wie und wann sie sich letztlich selbst verraten.

Warum Cocktail für eine Leiche die Jahrzehnte überdauerte
Der Film stammt aus dem Jahr 1948. Warum erwähne ich das? Dieser Hintergrund ist wichtig, um das Kammerspiel von Alfred Hitchcock richtig verstehen zu können. Das Theaterstück von Patrick Hamilton, auf dem es basiert, ist älter. Aber die Problematik des Übermenschen war ganz aktuell, als Cocktail für eine Leiche gedreht wurde. Die Schrecken des Nazi-Terrors waren gerade erst vorbei, und Hitchcock war einer von vielen Emigranten, die Europa während des Krieges verlassen hatten. Es war damals mutig, im Kino darüber zu diskutieren, unter welchen Gesichtspunkten Mord moralisch zu rechtfertigen ist. Der Regisseur tat dies mit dem ihm eigenen schwarzen Humor. Auch heute ist es noch mutig, diese Problematik zu erörtern, denn Menschen, die sich anderen von Grund auf überlegen fühlen, gibt es weiterhin zuhauf. Deshalb hat Cocktail für eine Leiche die Jahrzehnte überdauert und wird auch in Zukunft ein bedeutender Film im Schaffen von Alfred Hitchcock bleiben. Die Tatsache, dass der ‘Master of Suspense’ ihn selbst jahrelang zurückhielt, um ihn seiner Tochter Patricia Hitchcock zu vererben, könnte zusätzlich zu seinem Kult beigetragen haben.

Was sagt ihr zu Cocktail für eine Leiche?

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