Warum wir uns gerne gruseln

30.10.2009 - 15:01 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Spaß am Grusel
Lionsgate
Spaß am Grusel
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Grusel geht uns alle an: Passend zu Halloween gehen wir der Frage nach, warum sich die meisten Menschen so gerne in Kinos und vor Fernseher begeben, um dem Bösen bei der Arbeit zuzuschauen.

Grusel ist paradox, denn er wirkt auf die Zuschauer gleichzeitig abstoßend und anziehend. Dies macht sich bereits anhand der horrorfilmtypischen Körperhaltung bemerkbar: Wir halten uns die Hand vor Augen, wollen aber zwischen den Fingern hindurchlinsen. Warum bereitet es uns so viel Spaß, unter bestimmten Bedingungen mit dem Bösen konfrontiert zu werden? Ich werde versuchen, ein paar Antworten zu liefern.

Gruseln als Gruppenerlebnis
Früher versammelten sich Menschen am Lagerfeuer und lauschten den Mythen und Legenden eines Geschichtenerzählers, heute folgen sie dem Herdentrieb und begeben sich ins Lichtspielhaus. Zwei Filmgattungen bringen im gut gefüllten Kinosaal besonders viel Spaß: Komödien (die ich hier vernachlässige) und Horrorfilme. Insbesondere Teenager lieben es, sich zu zweit oder in kleinen Gruppen von Massenmördern, Monstern oder allerlei übernatürlichem Schabernack unterhalten zu lassen. Der Reiz am gemeinsamen Sehen liegt in dem Gefühl, einer unter vielen zu sein: Wenn mein Sitznachbar sich gruselt, dann darf ich das auch. Wenn der Angsthase in der dritten Reihe schreit, dann gibt dies auch mir einen Kick. Das nun folgende Video bringt den Horror im Kollektiv auf den Punkt:

Angst und Alleinsein: der Verlust der kindlichen Unschuld
Jeder von Euch kennt es: Als Kind habt ihr Filme gesehen, die Euch in solchem Maße verstört haben, dass ihr noch heute aus dem Stehgreif die Titel aufsagen könnt. (Bei mir erreichten dies u. a. Planet der Affen und Die phantastische Reise – also nicht gerade klassische Horrorstreifen. Ich freue mich auf Kommentare mit Euren traumatischen Filmerlebnissen). Viele von Euch haben sich seinerzeit wahrscheinlich eines Nachts heimlich vor den Fernseher begeben, um trotz Verbot der Eltern unbekannte Schattenwelten zu erkunden. Einige saßen dabei alleine vor der Flimmerkiste – dann wirkt der Grusel besonders hartnäckig. Gelangen die verstörenden Bilder erstmal in den Kinderkopf, dann kommen sie auch so schnell auch nicht mehr heraus – und die mediale Unschuld ist für immer dahin. Gleichzeitig haben alle Geschädigten einen wichtigen Schritt zur Ausbildung der Persönlichkeit getan.

Dabei predigten uns unsere Eltern immer und immer wieder: Das Fernsehen ist schuld. Recht haben sie:

Auf den Kontext kommt es an
Der Kern des Grusels besteht aus Archetypen der Angst, also Phänomenen, die allen Menschen aller Zeiten kalte Schauer über den Rücken jagen. Ganze Horden von Kulturwissenschaftlern untersuchen dieses Thema; ich versuche eine Kurzfassung zu liefern: Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten, der Dunkelheit geht eigentlich immer. Diese Tatsache versuchen sich die meisten Horrorfilme zu nutze zu machen.

Doch ein und dasselbe künstlerische Werk entfaltet je nach Persönlichkeit, Epochenzugehörigkeit und kulturellem Hintergrund des Rezpienten gleichzeitig ganz unterschiedliche Wirkungen: "Unsere Ur-Urgroßeltern hatten Angst vor einem an einem Gleis zum Halt kommenden Zug, wir verstehen jedoch nur Bahnhof. Wer sich vor den gleichen Filmen gruselt, fühlt sich zusammengehörig – Angst bindet uns also auch an unsere Generation und weist uns unseren Platz in der Zeit zu.

Dass Grusel manchmal einfach in der Herauslösung aus dem gewohnten Zusammenhang besteht, beweist das folgende Video:

Der besondere Kick: Wenn die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen
Immer wieder versuchen Filmemacher, ihren Werken einen besonderen Kick zu verleihen, indem sie den Horror auf der Leinwand mit dem wirklichen Leben der Zuschauer in Verbindung bringen. Blair Witch Project und Paranormal Activity gelingt dies durch pseudo-authentische Bilder aus einer billigen Videokamera; in Ring wird dem Publikum glaubhaft gemacht, eine Woche nach Sichtung einen todbringenden Anruf zu erhalten; Rosemaries Baby verstört uns so sehr, weil Satans Sohn in einem stinknormalen New Yorker Apartment zur Welt kommt.

Genährt wird dieses Phänomen durch das Aktenzeichen XY-Prinzip: Die Zuschauer konsumieren die berühmt-berüchtigte Fernsehsendung wie einen Krimi, wissen aber, dass die Verbrechen wirklich begangen worden sind – der Grusel kommt hier ganz real daher. Das Paradebeispiel für eine Grenzfigur zwischen Realität und Selbstinszenierung ist Charles Manson. Er befahl den Mitgliedern seiner “Familie”, in Hollywood zu morden. Zu den Opfern zählte die zum Tatzeitpunkt hochschwangere Sharon Tate, ihres Zeichens Schauspielerin und Frau von Rosemaries Baby -Regisseur Roman Polanski. Der “Fall Charles Manson” ist ein verstörend-faszinierender Cocktail aus realem und inszeniertem Horror, aus Menschenverachtung und Entertainment, der auch heute noch wirkt. Die Lust auf Angst entspringt unserem stets zwiespältigen Verhältnis zum Bösen – wir verachteten es, insgeheim jedoch fasziniert es uns manchmal.

Wirklich unheimlich wird das folgende Video spätestens ab 2:26: Das ist realer Grusel par excellence; dieser Mensch lebt wirklich irgendwo da draußen!

Wie steht es mit Euch: Gruselt ihr Euch gerne? Welche Filme haben Euch die mediale Unschuld geraubt?

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